Export von Umweltbelastungen - Marcel Züger "Mensch Wolf"

Der Text von Marcel Züger, vermischt zwei zentrale Themen:

  1. Globale Umweltfolgen des Konsums in Industrieländern, insbesondere durch Entwaldung im Globalen Süden.

  2. Waldökologie und Waldbewirtschaftung, mit Betonung auf forstliche Pflege, Wildverbiss, Naturverjüngung und Plenterwälder.

I. WIDERLEGUNG DES ERSTEN TEILS: „EXPORT VON UMWELTBELASTUNGEN“

Behauptung  von Marcel Züger:

Indem diese Industrienationen Nahrungsmittel und Holz importieren, exportieren sie im Grunde genommen das Artensterben.

Widerlegung:

Diese Aussage basiert zwar auf einem realen Problem – der Externalisierung ökologischer Kosten durch reichen Konsum –, ist aber stark vereinfachend und lässt komplexe Ursachen außer Acht.

1. Lebensraumverlust durch Konsum: differenzieren statt moralisieren

  • Der Rückgang von Waldlebensräumen ist multikausal. Neben internationalen Konsummustern spielen lokale politische Instabilität, schlechte Landnutzungsplanung, wirtschaftliche Zwänge der Produzentenländer, sowie illegale Abholzung zentrale Rollen.

  • Studien zeigen, dass ein Großteil der Entwaldung z. B. im Amazonasgebiet nicht direkt auf Exportprodukte zurückzuführen ist, sondern auf subsistenzwirtschaftliche Nutzung, Infrastrukturprojekte und nationale Agrarpolitik (Barlow et al., 2016; Busch & Ferretti-Gallon, 2017).

  • Der Konsum ist nicht per se zerstörerisch, sondern hängt davon ab, welche Produkte, aus welchen Anbausystemen, unter welchen sozialen und ökologischen Standards importiert werden.

📚 Quellen:

  • Barlow, J. et al. (2016). Anthropogenic disturbance in tropical forests can double biodiversity loss from deforestation. Nature, 535(7610), 144–147.

  • Busch, J., & Ferretti-Gallon, K. (2017). What drives deforestation and what stops it? Review of Environmental Economics and Policy, 11(1), 3–23.

2. Internationale Zertifizierungs- und Schutzsysteme wirken entgegen

  • Programme wie FSC (Forest Stewardship Council) oder RSPO (Roundtable on Sustainable Palm Oil) zeigen, dass internationale Nachfrage nach zertifiziert nachhaltigen Produkten auch positiv auf Biodiversität und Waldschutz wirken kann.

  • Auch multilaterale Abkommen wie REDD+ (UN-Programm zur Verringerung von Emissionen aus Entwaldung und Degradierung) setzen gezielt Anreize zur Erhaltung tropischer Wälder in Kombination mit wirtschaftlicher Entwicklung.

📚 Quelle:

  • Busch, J. et al. (2019). Potential for low-emission development strategies to reduce global forest carbon emissions. Nature Climate Change, 9(12), 940–946.

Fazit:

Die Aussage „Industrieländer exportieren Artensterben“ greift zu kurz und verkennt die Vielfalt an Einflüssen. Entscheidend ist nicht ob importiert wird, sondern wie. Strategien wie „Zero Deforestation Supply Chains“ sind praktikable Lösungsansätze.

II. KRITIK UND EINORDNUNG DES ZWEITEN TEILS: WALDBEWIRTSCHAFTUNG, SELEKTION UND WILDEINFLUSS

Dieser Abschnitt bietet interessante forstökologische Perspektiven, ist aber in einigen Punkten wissenschaftlich verkürzt oder ideologisch eingefärbt.

A) „Jeder Baum braucht genau einen Nachfolger“ – Mythos einer simplen Waldverjüngung

  • Waldverjüngung ist kein linearer Prozess. Es gibt große Unterschiede zwischen Licht- und Schattenbaumarten, zwischen natürlichen Störungen und forstlicher Nutzung.

  • Der Fokus auf die „notwendige Auslese durch Wildverbiss“ ignoriert wissenschaftlich belegte negativen Effekte hoher Schalenwilddichten auf die natürliche Waldverjüngung und Biodiversität.

📚 Quelle:

  • Ammer, C. (2019). Zur Bedeutung von Wildverbiss als Steuerungsfaktor der Waldverjüngung. AFZ-Der Wald, 6, 10–14.

  • Gill, R. M. A., & Beardall, V. (2001). The impact of deer on woodlands: The effects of browsing and seed dispersal on vegetation structure and composition. Forestry, 74(3), 209–218.

B) Romantisierung des Plenterwalds und Missachtung moderner ökologischer Erkenntnisse

  • Plenterwälder haben Vorteile (hohe Strukturdiversität), aber sie sind arbeitsintensiv, teuer und nicht überall ökologisch oder ökonomisch sinnvoll.

  • Die Behauptung, dass Wildtiere eine notwendige Selektion übernehmen, ist forstlich überholt. Hohe Wildbestände gefährden nicht nur die Baumverjüngung, sondern auch artenreiche Krautschichten und seltene Arten.

📚 Quelle:

  • Reimoser, F. (2003). Steering the impacts of ungulates on temperate forests. Journal for Nature Conservation, 10(4), 243–252.

C) „Verjüngungsfeindliche Streuauflagen“: pauschal und ökologisch undifferenziert

  • Das Problem ist nicht das Laub selbst, sondern dessen Interaktion mit Boden, Lichtverfügbarkeit und Konkurrenzdruck. In Urwäldern sorgen mikrotopographische Vielfalt und Totholz für erfolgreiche Verjüngung.

  • Aussagen wie „Altbäume verhindern Verjüngung“ sind einseitig – viele Arten sind auf Altbaumbestände angewiesen (z. B. für Habitatbäume, Mykorrhizapartner, Samenquellen).

📚 Quelle:

  • Bauhus, J., Puettmann, K., & Messier, C. (2009). Silviculture for old-growth attributes. Forest Ecology and Management, 258(4), 525–537.

III. FAZIT UND EINORDNUNG DES GESAMTTEXTES

Positiv:

  • Gute Beschreibung der forstlichen Praxis, insbesondere Unterschiede zwischen Plenter- und Altersklassenwald.

  • Anerkennung der Notwendigkeit einer angepassten Waldpflege.

Kritik:

  • Ideologisch eingefärbt, vor allem im Bezug auf die Rolle von Wildtieren.

  • Vereinfachte biologische Konzepte (z. B. „jeder Baum braucht einen Nachfolger“, „Selektion durch Wild ist notwendig“).

  • Problematische Natur-Romantik, z. B. bei der Darstellung von Geophyten oder Rohhumus.

SCHLUSSFOLGERUNG

Der Text von Marcel Züger vernachlässigt:

  1. die Verantwortung des Konsums differenziert zu betrachten, und

  2. die ökologischen Grundlagen der Waldentwicklung in ihrer Vielschichtigkeit korrekt darzustellen.

Empfohlene weiterführende Literatur:

  • Rieley, J. O., & Page, S. E. (Eds.). (2005). Tropical peatlands. (Über den Einfluss von Nutzung tropischer Wälder)

  • Peterken, G. F. (1996). Natural woodland: ecology and conservation in northern temperate regions.

  • Ellenberg, H. (1988). Vegetation Ecology of Central Europe.