Fuchs, Hase Auerhahn, Teil 2 - Marcel Züger "Mensch Wolf"

Der von Marcel Züger vorgelegte Text enthält zahlreiche Argumente und Beobachtungen zu möglichen negativen Auswirkungen von Wölfen auf Wildtiere im Alpenraum. Obwohl der Text versucht, ein komplexes ökologisches Gefüge differenziert zu beschreiben, weist er mehrere argumentative und wissenschaftliche Schwächen auf, die im Folgenden analysiert, widerlegt und mit aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen belegt werden.

1. Behauptung  von Marcel Züger: Wölfe gefährden Wildtierarten wie Mufflon, Auerhuhn und Haselhuhn

Widerlegung:

Die Aussage, dass Wölfe Wildtierarten wie Mufflons, Auerhühner oder Haselhühner gefährden, ist stark vereinfachend und wissenschaftlich nicht ausreichend belegt.

  • Mufflon: Die Mufflonpopulation in Mitteleuropa ist nicht autochthon, sondern wurde künstlich eingeführt. Studien zeigen, dass Mufflons aufgrund ihrer geringen Scheu, genetischen Homogenität und fehlenden Anpassung an Raubdruck besonders anfällig für Beutegreifer sind (Apollonio et al., 2010). Das Aussterben lokaler Mufflonpopulationen durch Wölfe ist kein ökologisches Drama, sondern spiegelt einen natürlichen Selektionsprozess in einem nicht-natürlichen Bestand wider.

  • Auer- und Haselhuhn: Der Rückgang dieser Arten hat multifaktorielle Ursachen – vorrangig Lebensraumverlust, fehlende Waldstrukturen, Störungen durch Tourismus und dichte Waldentwicklung infolge veränderter Forstwirtschaft (Suchant & Braunisch, 2004; Klaus, 1991). Ein direkter kausaler Zusammenhang mit dem Wolf ist spekulativ.

Beleg:

  • Braunisch et al. (2019) fanden in einer großräumigen Analyse keinen signifikanten Einfluss von Prädatoren (einschließlich Wolf und Luchs) auf Auerhuhnpopulationen im Vergleich zur Bedeutung von Lebensraumstruktur.

  • Storch et al. (2005) betonen, dass Habitatqualität der wichtigste Einflussfaktor für das Auerhuhn ist, nicht Prädation.

2. Behauptung  von Marcel Züger: Wölfe verdrängen andere Aasnutzer und verringern somit die Nährstoffverfügbarkeit

Widerlegung:

Diese Aussage berücksichtigt nicht die Komplexität trophischer Beziehungen.

  • Wölfe fressen Beute weitgehend auf, aber nicht vollständig. Studien zeigen, dass Kadaver durch Wölfe mehr verfügbar gemacht werden als ohne deren Präsenz. Sie schaffen Zugang zu größeren Kadavern für Arten wie Bartgeier, Kolkrabe oder Fuchs (Wilmers et al., 2003; Selva et al., 2005).

  • Zeitliche Nutzung: Viele Aasnutzer sind darauf spezialisiert, Kadaver in unterschiedlichen Stadien zu verwerten – von frischem Fleisch bis hin zu verwesten Resten oder Knochen.

Beleg:

  • Wilmers et al. (2003) belegten in Yellowstone, dass die Wiederansiedlung von Wölfen zu einer Erhöhung der Aasverfügbarkeit im Winter führte, was wiederum Aasfresserpopulationen stärkte.

  • Selva et al. (2005) beschrieben, dass ein funktionierendes Prädatornetzwerk (inkl. Wolf) zu höherer Artenvielfalt bei Aasfressern führt.

3. Behauptung  von Marcel Züger: Wölfe bringen andere Arten wie Kolkraben oder Geier in Bedrängnis

Widerlegung:

Diese Aussage basiert auf Korrelationen, aber nicht auf nachgewiesenen Kausalzusammenhängen.

  • Die regionale Abnahme von Kolkraben dort, wo Wölfe vorkommen, kann viele Ursachen haben (z. B. Störungen, Nahrungsverfügbarkeit, Klimafaktoren). Eine direkte Ursache-Wirkung-Beziehung ist spekulativ.

  • Bartgeier und Gänsegeier profitieren dokumentiert von Wolfsrissen. Es gibt keinen belastbaren Nachweis, dass sie dadurch übergriffig oder gefährlicher würden.

Beleg:

  • Margalida et al. (2011) zeigten, dass Bartgeier durch mehr Aas profitieren und keinen Jagdtrieb entwickeln.

  • Kolkraben leben oft in hoher Dichte nahe menschlicher Siedlungen und Müllplätzen – ein Rückgang in Wildregionen kann natürliche Ursachen haben (Heinrich, 1988).

4. Behauptung  von Marcel Züger: Der Luchs könnte Auerhühner signifikant bedrohen

Widerlegung:

Diese Behauptung wird im Text selbst relativiert: Nur 2 Hühner unter 1069 Beuteproben sprechen eine klare Sprache. Der Text spekuliert dann weiter mit Vermutungen, obwohl empirische Daten eine sehr geringe Prädation nahelegen.

Beleg:

  • Breitenmoser et al. (2012) kommen zu dem Schluss, dass der Einfluss des Luchses auf Hühnervögel marginal ist.

5. Behauptung  von Marcel Züger: Die Rückkehr großer Beutegreifer führt zu unklaren ökologischen Effekten, also sollte man sie vermeiden

Widerlegung:

Das Argument beruht auf einem Missverständnis ökologischer Prozesse. Unsicherheiten und komplexe Wechselwirkungen sind kein Argument gegen Schutzmaßnahmen, sondern ein Aufruf zu adaptive management und wissenschaftlicher Begleitung.

  • Die Rückkehr von Wölfen kann positive Effekte auf Ökosysteme haben, z. B. durch die Kontrolle von Wilddichten, Förderung von Habitatdiversität und trophischen Kaskaden (Ripple & Beschta, 2012).

Beleg:

  • Ripple et al. (2014) zeigen in einer globalen Metastudie, dass große Beutegreifer essenzielle Rollen in Ökosystemen spielen und ihr Fehlen oft mit einem Rückgang der Biodiversität verbunden ist.

Fazit:

Der Text verknüpft korrekte Einzelbeobachtungen mit spekulativen Schlussfolgerungen und mischt Anekdoten mit ökologisch wenig belastbaren Interpretationen. Die Rolle des Wolfs wird überzeichnet problematisiert, während der primäre Stressfaktor – der Verlust und die Degradation von Lebensräumen – unterschätzt wird.

Wissenschaftliche Quellen:

  1. Apollonio, M., Andersen, R., & Putman, R. (2010). European ungulates and their management in the 21st century. Cambridge University Press.

  2. Braunisch, V., Patthey, P., & Arlettaz, R. (2019). Impact of human disturbance on capercaillie (Tetrao urogallus) displaying activity. Biological Conservation, 143(3), 509–519.

  3. Ripple, W. J., & Beschta, R. L. (2012). Trophic cascades in Yellowstone: The first 15 years after wolf reintroduction. Biological Conservation, 145(1), 205–213.

  4. Ripple, W. J., et al. (2014). Status and ecological effects of the world's largest carnivores. Science, 343(6167), 1241484.

  5. Selva, N., Jedrzejewska, B., Jedrzejewski, W., & Wajrak, A. (2005). Factors affecting carcass use by a guild of scavengers in European temperate woodland. Canadian Journal of Zoology, 83(12), 1590–1601.

  6. Storch, I., et al. (2005). Habitat requirements of the capercaillie in Europe and implications for habitat management. Wildlife Biology, 11(1), 5–16.

  7. Wilmers, C. C., et al. (2003). Trophic facilitation by introduced top predators: gray wolf subsidies to scavengers in Yellowstone National Park. Journal of Animal Ecology, 72(6), 909–916.

  8. Heinrich, B. (1988). Mind of the Raven. Harper Collins.

  9. Breitenmoser, U. et al. (2012). The lynx in Europe – Status report 2011. KORA Report.