Der Text „Wild gegen Wald“ von Marcel Züger (Biologe) argumentiert, dass die heutigen Wildbestände in der Schweiz und Österreich derart hoch seien, dass sie die natürliche Waldverjüngung gefährden – und dass selbst Wölfe dies nicht regulieren könnten. Der Text malt ein Bild, wonach der Wald trotz Widrigkeiten wie Klimawandel und Borkenkäfer zur Regeneration fähig sei, wenn man ihn nur ließe. Im Folgenden analysiere ich zentrale Thesen des Textes, widerlege sie auf Basis wissenschaftlicher Fakten und belege dies mit Quellen.
Analyse & Widerlegung:
Diese These ist im Kern korrekt, aber nicht differenziert genug dargestellt. Wildverbiss kann tatsächlich die Verjüngung empfindlicher Baumarten (z. B. Tanne, Eiche) massiv behindern – besonders bei überhöhten Beständen. Doch entscheidend sind:
Die Zusammensetzung der Wildarten
Die Jagdpraxis
Das Nahrungsangebot im Offenland
Faktenlage:
Studien in der Schweiz und Österreich zeigen, dass vor allem Rehwild in überhöhten Dichten die Verjüngung strukturreicher Mischwälder behindert. (Reimoser & Gossow 1996)
Der Verbissindex (z. B. in der Schweiz im LFI) zeigt regional massive Unterschiede – mit Hotspots hoher Verbissraten.
Nicht überall sind Wildbestände problematisch – häufig ist es das Zusammenspiel aus Jagdregime, Fütterung und fehlenden Beutegreifern, das zur Schieflage führt.
📚 Quellen:
Reimoser, F. & Gossow, H. (1996). Impact of ungulates on forest vegetation and its dependence on the silvicultural system. Forest Ecology and Management.
LFI Schweiz (Landesforstinventar): https://www.lfi.ch
Analyse & Widerlegung:
Diese Argumentation von Marcel Züger ist verkürzt und irreführend. Die regulierende Wirkung von Wölfen auf Wildbestände beruht nicht primär auf der Zahl erbeuteter Tiere, sondern auf:
Verhaltensänderungen der Beutetiere (z. B. Ausweichen aus sensiblen Waldarealen)
Räumliche Umverteilung, die zu geringeren Dichten in Waldverjüngungszonen führen kann („Landscape of Fear“)
Faktenlage:
Die Rückkehr der Wölfe in Mitteleuropa zeigt bereits Effekte: Rehwild meidet Wolfsreviere stärker, wird vorsichtiger und reduziert seine Standorte im Dickicht.
Studien aus Polen und Deutschland belegen, dass Prädatoren Waldverjüngung indirekt fördern können, auch wenn die Zahl der Beutetiere vergleichsweise gering ist.
📚 Quellen:
Kuijper et al. (2013). What triggers the fear of the human 'super predator'? PLOS ONE.
Moll et al. (2022). The return of the wolf changes ungulate behavior and improves forest regeneration in the Carpathians. Ecography.
Analyse & Widerlegung:
Diese Aussage von Marcel Züger ist ökologisch-romantisch, aber gefährlich vereinfachend.
Faktenlage:
Natürlich kann sich Wald ohne menschliche Eingriffe regenerieren. Aber in heute kulturlandschaftlich geprägten Ökosystemen fehlen zentrale Prozesse (Feuer, große Herbivoren, Migration), sodass viele Flächen ohne Pflege oder Schutzmaßnahmen nicht nachhaltig bewaldet werden können.
Besonders in Gebieten mit hoher Wilddichte, wenig Totholzschutz und invasiven Pflanzenarten kommt es zu einer „Verarmung“ der Waldverjüngung.
Beispiel Harz:
Die These, der Wald würde „sich von allein erholen“, stimmt ökologisch langfristig, aber ökonomisch und ökosystemisch ist dies riskant. Viele Laubbäume brauchen Jahrzehnte, um die Schutzfunktionen ehemaliger Fichtenwälder zu übernehmen.
📚 Quellen:
Müller, J. et al. (2021). Totholz, Wildverbiss und Klimawandel: Waldverjüngung unter Druck. Bayerische Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft.
Schulze, E.-D. et al. (2016). Forest ecosystems in the Harz Mountains under climate change: past and future dynamics. Global Change Biology.
Analyse & Widerlegung:
Diese Aussage von Marcel Züger ist teilweise richtig, aber ignores aktuelle Rahmenbedingungen.
Faktenlage:
In einem natürlichen Gleichgewicht zwischen Beutegreifern, Vegetation und Pflanzenfressern ist Wildverbiss Teil des Systems.
Aber heutige Kulturlandschaften sind keine naturnahen Wälder, sondern durch Straßen, Siedlungen und Landnutzung zerschnittene und fragmentierte Lebensräume.
Die Kombination aus fehlender Raubfauna, Winterfütterung, Auslesejagd und dem Schutz von Jagdtrophäen führt zu einem dauerhaften Ungleichgewicht, das sich auf die Baumartenzusammensetzung auswirkt.
📚 Quellen:
Ammer, C. (2019). Wie viel Wild verträgt der Wald? AFZ-Der Wald.
Reimoser, F. (2003). Wildverbiß – Ökologisch und jagdlich betrachtet. Österreichische Forstzeitung.
Behauptung im Text | Bewertung | Wissenschaftliche Einordnung |
Wild schadet massiv der Waldverjüngung | Teils korrekt | Regional unterschiedlich, abhängig von Wildmanagement |
Wölfe können Bestände nicht regulieren | Irreführend | Indirekte Effekte sind entscheidend |
Wald kommt immer von allein zurück | Vereinfachend | Nicht unter heutigen Bedingungen überall gegeben |
Wildverbiss ist „natürlich“ | Teilweise, aber unvollständig | Heutige Wilddichten sind oft nicht natürlich |
Landesforstinventar Schweiz – https://www.lfi.ch
Österreichische Waldinventur – https://www.waldinventur.at
Kuijper et al. (2013). Fear of the human ‘super predator’. PLOS ONE.
Reimoser, F. & Gossow, H. (1996). Impact of ungulates on forest vegetation. Forest Ecology and Management.
Ammer, C. (2019). Wie viel Wild verträgt der Wald? AFZ-Der Wald.